Vorzeigewürste

Im Laufe unserer Familiengeschichte sind schon viele Dinge dazu gekommen. Neue Schuhe. Blaue Flecken. Zähne. Süßigkeitenpapier. Kritzeleien an der Tapete. Bewegungsabläufe und irgendwann auch mal ein Kater. Also das Tier mit Fell, nicht das Ereignis, das dem zu tief ins Glas schauen folgt.
Es war ein kühler und nasser Novembernachmittag und keines der Kinder wollte wegen des unangenehm in die Hose kriechenden Wetters nach draußen gehen. Doch ich habe mich durchgesetzt. Alles für den Club. Und für die Gesundheit. Freiheit für Gliedmaßen und Lungen. Yeah. Nachdem die Kinder lautstark nölend mitspazierten, liefen wir, ohne es zu ahnen, direkt auf den am Wegesrand liegenden Kater zu. Es schien ein bisschen so, als ob der auf uns wartete. Er sah uns, miaute, sprang auf und schlich dann unentwegt um die Beine der Kinder, was dann auch schon die Entscheidung bedeutete. Zumindest für die Kinder. Mit tränenverhangenen Augen und Versprechen, an die nicht mal ich mich noch erinnern kann, baten sie, ihn mitnehmen zu dürfen. Nach giH (geraumen innerem Hadern) durften sie. Er kam mit zu uns.
In der ersten Nacht hat er zum Einstand alles vollgeschissen. Große Freude. In der zweiten auch. Und immer so weiter. Zwei Wochen lang rutsche er gestresst auf dem Boden oder in irgendwelchen Ecken herum, und hat seine Darmaktivität nicht in den Griff bekommen. Er war halt krank. Irgendwer hatte ihn ausgesetzt und das hat er nicht gut weggesteckt, sagte der Tierarzt. Nachdem die Behandlungskosten weiter anstiegen, es aber nicht besser wurde, kam er in die Reha. Vier Wochen Krankenstation, damit er sich erholen kann. Direkt am Heiligabend habe ich ihn zurück zu uns geholt. Ich hatte ein wenig Sorge wegen seiner bisherigen Darmentleerungsaktivitäten, aber die Mitarbeiterin versicherte mir, dass er alles im Griff habe und Vorzeigewürste kacken würde. Vorzeigewürste. Ich habe nicht nachgefragt, was das konkret bedeutet, gleichwohl kam eine bildliche Vorstellung in mir auf. Ich habe mich gefragt, ob man das Thema auch beim Smalltalk auf einer Party unterbringen kann. „Ach hey, heute auch schon´ ne Vorzeigewurst gekackt?“ „Oh ja, gut dass Sie fragen: Hier, schauen Sie mal, das ist meine und dann noch die von meinem großen Sohn und die vom Hund, der ist uns zugelaufen, blabla.“ Oder wenn die Kinder ihre ersten Liebe mit nach Hause bringen. Wer will schon langweilige Kinderfotos? Es ist Vorzeigewurstzeit. Beziehungen brauchen schließlich Aufgaben. Und mit denen wächst man ja auch bekanntlich. „Komm doch mal her, ich zeige dir die Vorzeigewürste von… Schön, nicht? Das hat er schon immer gut gekonnt.“ Oder am Elternabend. „Die Kinder brauchen mehr Raum und Zeit für Vorzeigewürste! Und dabei gute Vorbilder!“ Irgendwie so. Ausprobieren. Die nächste Party oder das nächste Teammeeting nahen ganz sicher.

Ich schnappe mir jetzt was zum Putzen, der Vorzeigewurstkater wollte nämlich gerade dieselbige im Katzenklo postieren und wurde leider rüde von der Kleinsten dabei gestört. Umarmungsalarm! Sie scheißt buchstäblich drauf, ob der Moment dafür passend ist. Der Kater verließ dabei fluchtartig seinen Abort – allerdings ohne sein Geschäft zu unterbrechen. Ergo: Die Wurst bammelte am Katzenarsch. Und wer das Prinzip der Schwerkraft kennt, weiß was dem folgt. Das Ding fällt runter. Nun liegt die Vorzeigewurst auf dem Boden und wartet darauf, beseitigt und die Stelle darauf, desinfiziert zu werden. Und weil Abwechslung in unserem Haus großgeschrieben wird, hat ein zweites Kind während der Wurstaktion aus Versehen mit dem Handtuch (mit dem es wild schleudernd Wind im Bad machen wollte) das Flüssigwaschmittel vom Schrank gefegt. Nun verteilt sich das Waschmittel in meditativ fließender Weise auf dem Fußboden. Man möchte einen Helm aufsetzen, um den Kopf gegen die Wand zu hauen. Den eigenen versteht sich. Aber nein, dafür ist keine Zeit. Es wäre auch sehr destruktiv. Alles hat ein Ende.
Nur die Wurst hat zwei.

Manoni