Eine Frage der Richtung

Mich stellt man drei Querstraßen von meiner Wohnung ab und ich finde nicht mehr nach Hause. „Orientierungssinn wie eine Bockwurst“ hat mein Vater früher gesagt. Ich glaube, das habe ich von meiner Mutter, auch wenn sie das bestreiten würde. Ich kann mich noch genau an die zahlreichen Ausflüge in meiner Kindheit erinnern, mit dem von uns allseits geliebten Satz: „Lasst uns doch hier langgehen, das ist kürzer.“
Es war natürlich nie kürzer. Es war um zahlreiche Kilometer länger. Oft haben wir uns in der Wildnis verhungern oder verdursten sehen, während wir ziellos im Dickicht hinter einer zarten Frau herstapften, die sich ihren Weg durch Gestrüpp, Büsche und Morast bahnte.
ABER!
Wir haben es immer nach Hause geschafft. Trotz der Umstände.
Und wir sind an unerwartete Orte gelangt und haben Neues kennengelernt. Da denkt man „Ach Mensch, war das schon immer hier? Das ist aber schön. Und guck mal hier, die Aussicht.“
Leider findet man mit diesem Sinn für Orientierung, wie ich ihn habe, auch nicht an die spontan gefundenen Orte zurück. Zumindest nicht auf direktem Weg.

Das ist die Tragik.
Oder die Chance – je nachdem, in welche Richtung man sieht.
Die Chance darauf, im besagten „Hier und Jetzt“ zu sein und jeden Moment, jede Entdeckung und jedes Abenteuer als solches zu sehen, zu hören und zu leben. Um anschließend loszulassen, damit ein anderer finden kann. Die guten und die nicht so guten Momente, die Abenteuer aber auch die Umwege.
Ich weiß, dass es nicht einfach ist, in Situationen, in denen man umherirrt auch noch nach dem Sinn darin oder dafür zu suchen. Ich schaffe das auch nicht immer. Aber es geht auch nicht um immer und ständig, sondern darum, dass es möglich ist. Das wir es können. Dass wir grundsätzlich frei in der Entscheidung sind, woran wir unser Handeln binden. Dass wir durch unsere Gedanken und Sprache unsere Realität formen. Dass wir bestimmen, in welche Richtung wir sehen und gehen wollen, beziehungsweise auf welche Weise wir den eigenen Abwegen begegnen.

Solltest du zukünftig oder aktuell teilweise bis ganz ohne Orientierung sein, den Weg noch suchen oder jemanden kennen, dem es so geht – wirf die Flinte nicht ins Korn, den Hut nicht in den Ring und den Knüppel nicht in den Sack! Ich habe irgendwo gelesen, dass man sich verirren muss, um den Weg zu finden. Und wieviele Orte, Momente und Antworten hätten sich ohne deine inneren Fragen und äußeren Umwege nicht gezeigt?
Vielleicht kannst du kurz inne halten und einen Blick in die Landschaft wagen, die du siehst. Möglicherweise zeigt sich etwas, dass du vorher noch nicht wahrgenommen hast. Und möglicherweise gelingt es dir, ein „wofür oder wobei ist es hilfreich“ zu finden, es anzusehen oder hochzunehmen oder festzuhalten und damit den nächsten Schritt zu gehen.

Danke fürs umherstapfen, Mama.

Take care.

Manoni